WARUM ATTACKIERT SO MANCHE:R USER:IN EIN UNTERNEHMENSPOSTING UND DAS MIT TEILWEISE ERSCHRECKENDEN FORMULIERUNGEN? DIE MAINZER FORSCHUNG ERLÄUTERT DIE MOTIVE DAHINTER
Die Diskussionen, die heutzutage in der digitalen Welt entstehen, stellen ein weniger utopisches Entwicklungsszenario dar, als wir das in den 90ern angenommen haben. Häufig werden die allgemeinen Höflichkeitsregeln der Bereitschaft zum digitalen Wutausbruch geopfert. Dabei versteckt sich der/die Onliner:in häufig hinter einem albernen Benutzernamen und fehlenden Profilfoto.
Mit sogenannten Hasskommentaren zu Social-Media-Beiträgen gehen wir bei Bartenbach folgendermaßen um, erklärt unser Social Director Achim Hube: „Um zu definieren, was überhaupt in die Kategorie ‚unzivile Kommentare‘ fällt, sollten für den Social-Media-Auftritt eines Unternehmens interne Guidelines definiert werden. Verstößt ein Kommentar gegen diese, sollte der/die Nutzer:in unmittelbar und sichtbar darauf angesprochen werden. Damit steht man öffentlich für seine Werte ein und zeigt auch möglichen Nachahmer:innen, dass ein solches Verhalten nicht in Ordnung ist und nicht geduldet wird. User:innen werden damit deutlich verwarnt. In wiederholten oder Extremfällen können einzelne User:innen eingeschränkt oder blockiert werden. Der/die eingeschränkte User:in kann zwar noch den Account sehen und kommentieren, die Kommentare werden jedoch nur der Person selbst angezeigt. Im Zweifelsfall merkt die Person gar nicht erst, dass sie blockiert wurde.“
Wichtig ist es dabei, teils auch harsch formulierte Kritik nicht zu entfernen und eine längere Diskussion mit Nutzer:innen in den Kommentaren zu vermeiden.
Die CM-Formel lautet also: 1) Klare Richtlinien; 2) Entgegentreten im Sinne der Werte; 3) Verwarnen; 4) Keine längeren Diskussionen, sondern klare Statements; 5) Einschränken; 6) Blockieren; 7) Bei konkreten und persönlichen Drohungen Einschalten der Polizei.
Schweigespirale als digitales Dilemma
Hinter dem Sammelbegriff „unzivile Kommentare“ verbergen sich Hasskommentare, aggressive, provozierende und/oder intolerante Aussagen im Kommentarbereich sämtlicher sozialer Netzwerke. Diese untergraben einen konstruktiven Austausch. Des Weiteren können unzivile Kommentare das wahrgenommene Image eines journalistischen Mediums negativ beeinflussen, Stereotype gegenüber bestimmten Gruppen verstärken und die sogenannte Schweigespirale kultivieren. Elisabeth Noelle-Neumann, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Mainz, fasst die Theorie der Schweigespirale zusammen: „Wer sieht, dass seine Meinung in der Gesellschaft zunimmt, ist gestärkt, redet öffentlich, lässt alle Vorsicht fallen. Wer sieht, dass seine Meinung an Boden verliert, verfällt in Schweigen. So können die Hasskommentare zum Beispiel andere Nutzer:innen in eine Schweigespirale ‚stürzen‘.“
Bereits in 2016 konnten die Kommunikationswissenschaftler Marc Ziegele und Pablo Jost zeigen, wie verschiedene Moderationsstile von Online-Diskussionen die Partizipationsbereitschaft der Online-Nutzer:innen beeinflussen. Nach ihren Untersuchungen erhöhen sachliche Antworten auf unzivile Kommentare indirekt die Bereitschaft, an der entsprechenden Online-Diskussion teilzunehmen, da sie eine konstruktive Diskussionsatmosphäre fördern. Im Gegensatz dazu führt der sarkastische Community-Management-Stil zu einer geringeren Beteiligung an Online-Diskussionen, weil dadurch die Glaubwürdigkeit der Beitragsautor:innen sowie die Qualität ihrer Beiträge leiden. Sarkastischer Moderationsstil erhöht jedoch den subjektiv wahrgenommenen Unterhaltungswert der Kommentare.
#ichbinhier als ProdUser:innen
Heute spricht man von den sogenannten ProdUser:innen: einer Mischung von User:innen und Content-Produzent:innen, die keine Torwächter:innen brauchen, um sich im digitalen Raum einzurichten.
Zu den Reihen solcher ProdUser:innen gehören auch Mitglieder der Facebook-Gruppe #ichbinhier. In der FB-Gruppe werden die #ichbinhier-Aktivist:innen dazu aufgerufen, unzivilen Kommentaren Gegenargumente gegenüberzustellen.
In ihrer Studie fokussierten sich Pablo Jost, Dr. phil. am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, und Kolleg:innen auf diverse Formen der Intervention von Nutzer:innen gegen Inzivilität online. Anhand einer Befragung von 575 Mitgliedern der Gruppe #ichbinhier konnten die Autor:innen zeigen, dass die politische Facebook-Nutzung, das Gefühl persönlicher Verantwortung sowie die Erwartung einer Verbesserung des Diskussionsklimas die Bereitschaft, sich im Kommentarbereich auszudrücken, steigern.
Interesse an einem tieferen Einblick in die Interventionsstrategien bei unzivilen Online-Diskussionen? Die Gesamtstudie gibt es unter https://link.springer.com/article/10.1007/s41358-020-00212-9.
(27.07.2023/ MAKO)
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